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Gemeinsames Essen in den 1950er-Jahren im DRK-Heim im Grenzdurchgangslager. Foto: Fritz Paul|

„Schwarzbrot am Abend kannten wir nicht“ Das diesjährige Motto des Tages der Archive „Essen und Trinken“ ist ein willkommener Anlass, sich dem alltäglichen und essentiellen Thema Versorgung und Verpflegung im Lager zu widmen.

Aus Sicht der Bewohner:innen des Grenzdurchgangslagers ist das Essen mal Anlass zur Verwunderung über deutsche Essensgewohnheiten, wie z. B. „Schwarzbrot am Abend kannten wir nicht“, dann wieder ein willkommener Anlass zu einem Spaziergang durchs Lager. Unterwegs trifft man sich, tauscht freundliche Worte aus und hat am Ende sogar noch Gelegenheit zu einem Plausch bei leckerem Café, seitdem es das beliebte Coffee-Bike, das von der Inneren Mission betrieben wird, gibt. Die regelmäßigen Essenszeiten: Frühstück, Mittagessen, Abendessen verleihen dem Lageralltag Struktur und sind verlässlich. In heißen Phasen kann sich aber auch schon einmal anhand einer Banane ein Streit entfachen, hier wird Essen zum Ventil für Überlastung und Stress. Vieles dreht sich ums Essen: die unterschiedlichen Essensgewohnheiten und (Un)-Verträglichkeiten.

Wir haben uns gefragt, wie es hinter den Kulissen aussieht, wieviel Arbeit, Zeit und Organisation fließen am Ende in ein vollwertiges Gericht? Im Archiv des Museums Friedland werden wir fündig: dort lagern alte Küchen-Wirtschaftsbücher, Rezepte und Speisepläne für jeden einzelnen Tag des Jahres.  Unfassbar viele Gerichte und große Mengen an Essen. 1987 standen z. B. Königsberger Klopse, Erbseneintopf oder Kohlroulade auf dem Speiseplan.

Wie es heute hinter den Kulissen der Lagerküche aussieht und was sich in den letzten Jahrzehnten verändert hat, erzählen uns Annette Raub und Norbert Raub, seit Dezember 2023 Küchenleiter im Grenzdurchgangslager. Seine Kollegin Annette Raub ist dagegen schon seit fast 30 Jahren im Lager beschäftigt. In einem höchst spannenden Gespräch erfahren wir, dass Kochen eine Wissenschaft für sich ist und die Versorgung von mehreren Hundert Personen viel Vorlauf, Logistik und Planung braucht und lernen, dass „Convenience Food“ nicht immer mit Fertiggerichten gleichzusetzen ist, und außerdem, was „Cook&Serve“ und „Cook&Chill“ eigentlich bedeuten.

Täglich werden im Grenzdurchgangslager Friedland zwischen 300 bis 550 Essen ausgegeben. Wenn es darauf ankommt, könnten auch doppelt so viele Essen zubereitet werden oder sogar über 2000, wie es 2015 der Fall war, erinnert sich Annette Raub. Idealerweise ist diese Leistung im Normalfall von einem Team aus ca. 20 Mitarbeitenden im Service, vier Köchen und zwei Küchenhilfen zu erbringen, hinzu kommt noch Unterstützung für den Abwasch. Auch Hilfe von Bewohner:innen ist durchaus willkommen, wenn die notwendigen Voraussetzungen nach dem gültigen Infektionsschutzgesetzt gegeben sind. Und das Angebot wird gerne angenommen, betont Annette Raub.

Aktuell befindet sich die Küche im Umbau und soll im Frühsommer den Regelbetrieb wieder aufnehmen. Dafür entwirft Norbert Raub einen detaillierten Ablaufplan, erstellt die Rezepte und macht die Speiseplanung für fünf Wochen. Der Speiseplan rotiert alle fünf Wochen. Dieses System hat den Vorteil, dass überschüssige Gerichte mit der Methode des „Cook&Chill“ konserviert werden können und nicht entsorgt werden müssen. Bei diesem Verfahren wird das Essen schnell runtergekühlt, um bei Bedarf verzehrfertig aufbereitet zu werden, eine ressourcenschonende Methode, zumal die Anzahl der Essensgäste bedingt durch die unterschiedlichen Ankünfte schutzsuchender Menschen variieren kann.

Essenausgabe in der Kantine des Grenzdurchgangslagers, 1988. Foto: Martin Langer
Frühstück im DRK-Heim im Grenzdurchgangslager, 1982. Foto: Martin Langer
Nach dem Aufräumen in der Küche des Grenzdurchgangslagers, 1982. Foto: Martin Langer

Für die Qualität des Essens garantieren die Regeln der „Deutschen Gesellschaft für Ernährung e. V.“, eine verbindliche Regelung für den Küchenleiter Norbert Raub. Dazu gehört z. B. die Regel Nr. 2: Gemüse und Obst – nimm 5 am Tag, d. h. drei Portionen Gemüse und zwei Portionen Obst am Tag. Eine Unterschrift des Lagerarztes, wie es noch in den 1980er üblich war, ist somit nicht mehr nötig. Darüber schmunzelt Norbert Raub. Auf dem künftigen Speiseplan des Küchenleiters können die Bewohner:innen zwischen zwei Gerichten und einem weiteren vegetarischen Gericht wählen. Einmal in der Woche soll es auf jeden Fall Fisch geben, und einen Tag, an dem überhaupt kein Fleisch angeboten wird. Die Fleischmengen sollen generell reduziert werden. Das ist ohnehin ein Trend, den der Küchenleiter seit mindestens zehn Jahren beobachtet, und die Beilagen sollen interessanter werden. Dazu gehört auch, dass Gewürze wie Kurkuma, Koriander oder Kardamom verwendet werden oder Pasten wie Za’tar aus Sesamsamen und Thymian gereicht werden. Beilagen wir Bulgur oder Pita als Alternative zum Brot gehören ebenso auf Norbert Raubs künftigen Speiseplan. Äußerst hilfreich für die Auswahl der Speisen ist der „Leitfaden für die Flüchtlingsverpflegung“ von 2016, der im Auftrag des Landratsamts Ludwigsburg in Zusammenarbeit mit Ernährungswissenschaftler: innen und Geflüchteten erstellt wurde.

Und natürlich freut sich der Küchenleiter, wenn es allen schmeckt. Ein Feedback darüber erhält Norbert Raub über Tagesprotokolle, die von den Mitarbeitenden geführt werden, mit Vermerken, wie gut die Gerichte von den Bewohner:innen angenommen werden oder von den Bewohner:innen selbst, die das Essen beurteilen können. Danach werden die Speisepläne angepasst. Wie wirksam so eine Rückmeldung sein kann, zeigt sich allein daran, dass zu einer bestimmten Zeit, als Spätaussiedler:innen über eine längere Zeit im Lager verweilten, neben Brot, Brötchen, Wurst, Käse und Marmelade zum Frühstück auch Haferbrei gehörte, berichtet Annette Raub. Eine weitere Neuerung war, dass die Komponenten eines Gerichts einzeln serviert wurden, was zur Folge hatte, dass das Essen besser angenommen wurde.

Eine weitere Besonderheit in Friedland sind die kleinen Teeküchen, die auch gerne von den Bewohner:innen z. B. für die Verpflegung von Kindern genutzt werden.

 

 

Foto: Holger Langmaier auf Pixabay|

Rezepte aus aller Welt

 

Wir dürfen also auf die Eröffnung der Küche gespannt sein und das ein oder andere Rezept ausprobieren, wie z. B. Yataklete Kilkil, einen äthiopischen Gemüseeintopf, der nach folgendem Rezept zubereitet wird:

Kartoffeln und Karotten würfeln, grüne Bohnen zerkleinern. Zwiebeln würfeln, Knoblauchzehe, Ingwer und Peperoni hacken. In Öl dünsten. Gemüse und Kartoffeln hinzufügen, Wasser zugeben und ca. 15 bis 20 min. dünsten. Mit Gewürzen (Zimt, Kardamom, Salz und Pfeffer) abschmecken.

Wir vom Redaktionsteam haben es jedenfalls schon nachgekocht und können unsere Empfehlung aussprechen!

Apropos, was wir leider gar nicht im Archiv gefunden haben, sind mitgebrachte Rezepte aus den privaten Küchen aus aller Welt. Daher würden wir uns über tradierte Familienrezepte sehr freuen. Schicken Sie sie uns gerne zu und wir werden sie mit Ihrem Einverständnis auf der Website mit allen teilen. Ebenso freuen wir uns über kleine Geschichten dazu, sofern es welche zu erzählen gibt.

Und hier können Sie sie einsenden: sammlung@museum-friedland.de.