Die Nissenhütte
Nissenhütten dienten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs vielen wohnungslosen Menschen als Unterkunft. Ursprünglich vom kanadischen Ingenieur Peter Norman Nissen im 1. Weltkrieg für die Unterbringung von Soldaten entworfen, bot die einfach zu erbauende halbrunde Behausung aus Wellblech und Holz in den 1940er Jahren auch zahlreichen Zivilpersonen im zerbombten Nachkriegsdeutschland vorübergehend Obdach. Obwohl die Nissenhütten zunächst keinen Fußboden hatten und es im Winter sehr kalt und im Sommer sehr heiß darin war, bedeutete der Aufenthalt in einer Nissenhütte für die Geflüchteten und Vertriebenen viel: Das vorläufige Ende der Fluchtstrapazen, ein Aufatmen nach langer Zeit der Angst und die Hoffnung auf einen Neubeginn. In Friedland gab es 220 solcher Nissenhütten, von denen eine bis heute erhalten ist.
Die Ausstellung
Vier wesentliche Aspekte charakterisieren die Ausstellung „SHELTER. Vom Leben im Dazwischen“. Die Ausstellung stellt die persönlichen Erfahrungen von ehemaligen Bewohner:innen einer Nissenhütte und heutigen Bewohner:innen von Flüchtlingsunterkünften in den Mittelpunkt. Dabei erklingen die Erinnerungen von Zeitzeug:innen aus den 1940er-Jahren als gesprochene Erzählungen im Raum. Die Besucher:innen sind eingeladen, auf bettähnlichen Liegen Platz zu nehmen und sich auf die Biografien und Erlebnisse einzulassen. Hierdurch wird die Erinnerung an diese frühe Zeit gewürdigt und lebendig gehalten.
Zugleich spannt die Ausstellung einen Bogen von der Vergangenheit in die Gegenwart, denn noch immer müssen Menschen ihre Heimat auf der Flucht vor Krieg und Verfolgung verlassen. In der Nissenhütte gibt es die Möglichkeit, die eigenen Erfahrungen niederzuschreiben und in das Kollektiv der vorhandenen Erinnerungen einzubringen. Im Gegensatz zum Prozess der Registrierung, den Ankommende in einem Lager durchlaufen, sind die Fragen an die Besuchenden offen gestellt. So wird eine Kategorisierung vermieden.
In einem Flüchtlingslager treffen viele verschiedene Kulturen aufeinander. Auch diesem Aspekt wird in der Ausstellung Rechnung getragen. Großformatige Fotos zeigen, wie Menschen sich in Friedland zufällig oder aktiv begegnen. Diese besondere Schicksalsgemeinschaft zieht sich ebenfalls wie ein roter Faden durch Geschichte und Gegenwart des Grenzdurchgangslagers Friedland und die Perspektiven der ankommenden Menschen.
Obwohl Menschen in der Nissenhütte auf beengtem Raum lebten und auch in heutigen Flüchtlingsunterkünften Platz und Privatsphäre begrenzt sind, möchte die Ausstellung in der Nissenhütte einen Freiraum für Gedanken, Wünsche und Hoffnungen öffnen. In diesem Sinn können sich die Besuchenden einerseits an Medienstationen die Aussagen von jüngst geflüchteten Menschen zu diesem Thema anhören, und andererseits auch eigene Gedanken notieren. So entsteht ein „Gedanken-Tauschregal“, zu dessen Inspiration alle selbst etwas beitragen können.
Neben Deutsch ist die Ausstellung gleichberechtigt in Russisch, Englisch, Spanisch, Türkisch und Arabisch angelegt und spiegelt so die Herkunft der Menschen wider, die im Grenzdurchgangslager anzutreffen sind.
Partizipative Gestaltung
Die Ausstellung in der Nissenhütte ist in vielerlei Hinsicht besonders: Was kann eine Ausstellung in einer ehemaligen Notunterkunft Menschen sagen, die gerade selbst in einer Aufnahmeeinrichtung leben und wohlmöglich zuvor in verschiedenen anderen Flüchtlingslagern gelebt haben? Um diese Frage zu beantworten, hat das Museum Friedland ein mehrköpfiges internationales Co-Kurationsteam zusammengestellt, dessen Mitglieder eigene Bezüge zu Friedland aufweisen, zum Beispiel als ehemalige oder derzeitige Bewohner:innen von Friedland oder anderen Flüchtlingsunterkünften, als Mitarbeitende, als Nachbarinnen und Nachbarn. In vier Workshops erarbeitete das Team gemeinsam mit dem Museum und der Szenografie-Agentur „Impuls Design“ ein Konzept für die Ausstellung.
Besonders ist auch der Standort der Nissenhütte. Sie befindet sich auf dem Gelände des so genannten Grenzdurchgangslagers Friedland, einer von 1945 bis heute aktiven Erstaufnahmeeinrichtung für Asylsuchende und Geflüchtete aus humanitären Aufnahmeprogrammen und dem UNHCR-Resettlement-Programm sowie Spätaussiedler:innen und jüdischen Zuwanderer:innen aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion.
Die Dauerausstellung ist Mittwoch bis Freitag von 10–14 Uhr und am Wochenende von 10–17 Uhr geöffnet. Die Nissenhütte befindet sich auf dem Gelände des Grenzdurchgangslagers.
Die Ausstellung wird gefördert durch die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien, den Landschaftsverband Südniedersachsen, die VGH-Stiftung sowie die Niedersächsische Lotto-Sport-Stiftung.