Ference Jóvári Mit 14 alleine in den Westen

Während des Volksaufstands 1956 kommt das öffentliche Leben in Körmend – einer ungarischen Kleinstadt nahe der österreichischen Grenze – weitgehend zum Erliegen. Ferenc Jóvári ist zu dieser Zeit 14 Jahre alt und besucht das örtliche Gymnasium. Kurzentschlossen eröffnet er seiner fassungslosen Mutter, dass er sich über die Grenze in den Westen absetzen will. „Unter normalen Umständen hätte meine Mutter mich wahrscheinlich nicht weggelassen." Angesichts der unklaren Verhältnisse und wilder Gerüchte über bevorstehende Maßnahmen sowjetischer Truppen lässt sie ihren Sohn jedoch ziehen.

 

Zu Fuß gelangt Ferenc Jóvári nach Österreich. Nach einigen Wochen in einem Kindererhohlungsheim wird er gemeinsam mit anderen Flüchtlingen mit dem Zug über Graz nach Friedland transportiert. Auf den Bahnhöfen zwischen Graz und Friedland werden die Flüchtlinge von Exilungarn und Deutschen herzlich empfangen: „Ich konnte keine Schokolade und keine Orangen mehr sehen, wir sind so reich beschenkt worden."

 

Am Nikolausabend 1956 kommt der Transport in Friedland an und wird am Bahnhof mit der ungarischen Nationalhymne aus dem Lautsprecher empfangen. Da die Mitarbeiter des Grenzdurchgangslagers nicht so recht wissen, was sie mit dem alleinstehenden 14-Jährigen anfangen sollen, kümmern sie sich zuerst um die anderen Ungarnflüchtlinge. Für Ferenc Jóvári gibt es derweil nicht viel zu tun: „Es war stinklangweilig im Lager Friedland für mich. Es waren von Tag zu Tag weniger Leute da." Um sich die Zeit zu vertreiben, dient er als Ministrant in der St. Norbert Kirche und hilft bei der Caritas und anderen Hilfswerken Pakete auszupacken. Im Januar 1957 bleibt er als letzter Ungarnflüchtling im Lager zurück.

 

Mit Hilfe des katholischen Lagerpfarrers Dr. Krahé findet sich in Kevelaer nahe der niederländischen Grenze eine Pflegefamilie für den jungen Ungarn. Zunächst ist ihm in der neuen Heimat noch vieles fremd: „Ich habe einen Schock erlebt. 1956, was hatte man da an Gewürzen? Maggi! Salz, Pfeffer, Maggi." Trotz einiger Schwierigkeiten wird Ferenc Jóvári für die Kinder der Pflegefamilie zum neuen großen Bruder: „Die Kinder haben mir Deutsch beigebracht. Besser gesagt, die haben mich immer verbessert. Vor allem die Jüngste, die damals vier Jahre alt war."

 

In der Werkstatt der Familie macht Ferenc Jóvári eine Ausbildung zum Gold- und Silberschmied. Nach seiner Ausbildung arbeitet er erst bei einem Silberschmied in Darmstadt und besucht dann die Kunst- und Werkschule in Pforzheim. Danach lernt er an den Kölner Werkschulen Metallbildhauerei und macht nebenbei seine Prüfung als Gold- und Silberschmiedemeister. Ende der 1960er Jahre leitet er für drei Jahre den Betrieb seiner Pflegeeltern in Kevelaer und lernt dabei seine zukünftige Frau kennen. Als diese zum Studieren nach Bonn zieht, macht er sich 1971 in der Nähe von Bonn mit einem eigenen Juwelierladen selbständig. Später gründen sie eine eigene Familie. Erst 1975 trifft er seine ungarische Mutter wieder. Heute ist er im Ruhestand und unternimmt vom Rheinland aus häufig Reisen nach Ungarn. Zu seinem Verhältnis zur alten und neuen Heimat sagt er: „Ich bin 120% in Deutschland integriert, aber mein Herz ist in Ungarn."

 

 

Therese und Heinrich Ridder