„Es hat mich auf meiner zweijährigen Flucht begleitet. Zunächst ist es mir nicht leichtgefallen, es dem Museum zu überlassen.Jetzt besuche ich es gerne in der Ausstellung, wenn ich mal wieder in Friedland zu Besuch bin.“
Und im Grunde ist es auch diesmal wieder das Püppchen, das Annelie Keil zu uns führt. Als Nachbildung ist es Teil der „Erinnergungsbox“, die zur Zeit vom Museum entwickelt wird. Sie enthält mehrere Repliken von Objekten aus unserer Dauerausstellung, die für Menschen von Bedeutung waren, die in Friedland im Lauf der den letzten 70 Jahren angekommen sind. Als wir Annelie Keil vor ein paar Monaten um ihre Erlaubnis fragten, das Püppchen nachbilden zu lassen, sagte sie spontan, kein Problem, im Übrigen, komme sie gerne bald mal wieder nach Friedland.
Im Gespräch mit unserem Wissenschaftlichen Leiter Dr. Steffen Wiegmann erzählt Annelie Keil, wie sie in einem Heim groß wurde. Diese Zeit habe sie aber durchaus in guter Erinnerung, da sie eine enge Beziehung zu zwei betreuenden Schwestern hatte, „die glaubten an mich, bei ihnen habe ich Kraft getankt“. Und die sollte sie später auch brauchen, als sie mit ihrer Mutter gegen Kriegsende aus dem polnischen Warthegau Richtung Westen fliehen wollte, aber von sowjetischen Truppen aufgehalten und in einem Lager festgesetzt wurde. Erst zwei Jahre später schafften sie es nach Friedland.
Friedland sei für sie so etwas wie eine „Heimat“ gewesen, auch wenn sie mit diesem Begriff vorsichtig umgehe, da sie eigentlich ein Wandervogel sei, so Annelie Keil. Aber sie erinnert sich noch gut an den Lagerarzt, der dem damals 8-jährigen Mädchen sagte, sie sei doch ein „tapferer kleiner Kerl“. Über die Anerkennung in den Worten habe sie sich sehr gefreut, doch bestand sie darauf, dass sie ein Mädchen sei.
Stark musste Annelie Keil auch sein, als sie und ihre Mutter nach wenigen Tagen nach Bad Oyenhausen weitergeleitet wurden. Dort bekamen sie ein karges Zimmer zwangszugewiesen bei Leuten, die den beiden nicht wohlgesonnen waren. In der Schule wurde Annelie Keil als „Pollackenkind“ beschimpft, sie schrieb schlechte Noten, weil sie sich nebenbei um den Lebensunterhalt für sich und ihre Mutter kümmern musste.
„Aber ich hatte immer Lehrer, die mich unterstützten.“ So machte sie Abitur, studierte und wurde schließlich Professorin für Sozial- und Gesundheitswissenschaften in Bremen. Unter anderem setzte sie sich mit dem Thema Gesundheit im Alter auseinander. Persönlich beschäftigt sie sich selbst derzeit mit der Frage, wie es für sie in ihrer jetzigen Wohnung weitergehen soll. „Ich bin in einem Heim aufgewachsen, ich habe kein Problem damit, wieder in ein Heim zu ziehen.“ Dann stelle sich wie für viele alte Menschen die Frage, was sie dorthin mitnehme. Ähnlich wie damals, als sie sich mit ihrer Mutter auf die Flucht machte. Vielleicht ist das kleine Püppchen aus unserer Erinnerungsbox dabei, das wir ihr überreichten und das sie begeistert an sich drückte.
Eva Völker