Thu, 10.01.2019
Das Museum als Ort der Bildung und Kommunikation|

"Mit anderen Augen" - welchen Blick Geflüchtete auf unsere Ausstellung haben

Neulich nahm ich an einer Führung von Museumspädagogin Samah Al Jundi-Pfaff durch die Dauerausstellung des Museums Friedland teil. Im Vorfeld hatte ich mich gefragt, welche Perspektive eine erst 2015 nach Deutschland Geflüchtete wohl auf die deutsche Geschichte und die Geschichte des Grenzdurchgangslagers in Friedland haben würde.

Ich wurde überrascht: Samah Al Jundi-Pfaff nahm uns mit auf eine Reise durch das Museum, das unterwegs zu einem lebendigen Ort der Kommunikation und Interaktion wurde. Sie ließ uns an den Gedanken und Gesprächen teilhaben, die sie hier mit Asylsuchenden und Kontingentflüchtlingen führt, die im benachbarten Grenzdurchgangslager auf ihre Weiterreise warten. So wurde jedes Objekt von einem passiven Zeugen der Geschichte zu einem lebendigen Objekt, das Interaktion zwischen Geflüchteten – und indirekt mit der deutschen Gesellschaft – ermöglicht, Emotionen hervorruft und dazu anregt, Erfahrungen, Ängste und Hoffnungen zu teilen.

Da war zum Beispiel die Chronik, die die Geschichte des Grenzdurchgangslagers dokumentiert, und für die Bewohner*innen des Lagers einen Anlass bietet, über ihre eigenen Familienalben zu sprechen, über Freud und Leid, aber auch darüber, wie die Migrationserfahrung Beziehungen verändert. Da waren die Flüchtlingsmeldescheine aus der Nachkriegszeit, die Samah Al Jundi-Pfaff nutzt, um mit den Menschen über Identität, die Bedeutung von Namen und Daten ins Gespräch zu kommen, und ihnen eine Hilfestellung im Umgang mit der deutschen Bürokratie zu vermitteln. Und da war auch der Film über Flucht- und Migrationsbewegungen während und nach dem Zweiten Weltkrieg, der als Aufhänger für ein Gespräch darüber dient, wie friedliches Zusammenleben zwischen verschiedenen Gruppen möglich sein kann. Vor allem aber war da das Logo des Museums Friedland – die drei Bögen, die für Abschied, Ankunft und Neubeginn stehen – und der Name „Friedland“. Beides symbolisiert, was Samah Al Jundi-Pfaff den Bewohner*innen aufzeigen möchte: Ankommen ist ein Prozess; Friedland ist ein „Land des Friedens“. Versuchen wir gemeinsam im Augenblick zu leben und die Gegenwart zu feiern.

Jedes dieser Objekte, die ich schon bei anderen Führungen wahrgenommen hatte, wurde so zu einem neuen, lebendigen Medium der Kommunikation. Was Samah Al Jundi-Pfaff am Ende ihrer Führung sagte, gilt auch für mich: Jede der Führungen, an der ich bisher in Friedland teilnahm, war anders, weil sowohl diejenigen, die die Führung machten, als auch die Besucher*innen ihre individuellen Hintergründe und sehr unterschiedlichen Motivationen mitgebracht hatten. Jede der Führungen vermittelte mir einen neuen spannenden Blick auf die Objekte, die Gestaltung der Ausstellung und die Möglichkeiten des Museums. Aber diese Führung war durch ihren Fokus etwas ganz Besonderes, weil sie nicht nur die historische Bedeutung der Objekte fokussierte. Vielmehr weckte Samah Al Jundi-Pfaff in den Objekten eine Vielschichtigkeit an Affekten, rückte Bedeutungen und Interpretationen in den Mittelpunkt, die ich nie für möglich gehalten hätte und die mich im Nachhinein noch viel nachdenken ließen. Absolut empfehlenswert und ein Muss für jede*n, die oder der sich für Flüchtlingspolitik jenseits von abstrakten Zahl und aufgeheizten Debatten interessiert, mit Geflüchteten arbeitet oder mit ihnen ins Gespräch kommen will.

Serena Müller, Institut für Ethnologie, Universität Göttingen

Thu, 28.02.2019