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Mo, 02.10.2017
Katharina Martin kam als Spätaussiedlerin nach Friedland|

Zeitreise in die Kindheit

„Es war irgendwie unwirklich“, sagt Katharina Martin-Virolainen. Die junge Frau mit den blonden Haaren und dem offenen Blick ist nach langer Zeit wieder nach Friedland zurückgekehrt. „Ob es Schicksal, Zufall oder perfekte Planung war, dass ich heute, genau 20 Jahre später wieder hier stehe, das kann ich auch nicht so genau sagen, von allem wohl ein bisschen“, erzählt sie.

Als 11-jähriges Mädchen war sie mit ihren Eltern und ihrem Bruder über das Grenzdurchgangslager aus Karelien im Nordwesten Russlands als Spätaussiedler nach Deutschland gekommen. Ihr Vater, ein gebürtiger Kasache, stellte als Russlanddeutscher einen Ausreiseantrag für seine Familie. Vier Jahre mussten sie warten, ehe sie Russland verlassen durften. Doch die Ausreise verlief nicht glatt: Den Flug, den ihr Vater gebucht hatte, durfte die Familie nicht antreten: Das Ticket war für den 17.8. ausgestellt, das Visum aber erst ab dem 18.8. gültig. Kurzentschlossen besorgte der Vater Zugfahrkarten, die Familie machte sich auf eine dreitägige Bahnreise, die sie durch die Ukraine und Polen führte und schließlich in Friedland endete.

All die Jahre hatte Katharina Martin-Virolainen nicht mehr an Friedland und ihre Ankunft gedacht. Jetzt, ist sie wieder hier, um ihrem Mann und ihren Kindern, diesen Ort zu zeigen. Beim Besuch im Museum Friedland kommen viele Erinnerungen zurück, die Ausstellung beeindruckt die junge Frau. Beim anschließenden Spaziergang durch den Ort, kommt sie am Supermarkt vorbei. Der ist auch nach 20 Jahren noch da. Als Kind hatte sie sich dort eine Zahnbürste aussuchen dürfen. Das habe sie völlig überfordert, erzählt sie. Es war ihr erster Besuch in einem Supermarkt im Westen, allein die vielen verschiedenen Zahnbürsten in allen Farben und Formen, die endlosen Regale mit den bunten Produkten, haben sie völlig überfordert. Heute erscheint ihr der Dorfladen klein und beschaulich. Zur Erinnerung kauft sie sich wieder eine Zahnbürste.

Inzwischen lebt Katharina Martin-Virolainen in Baden-Württemberg, wo sie in der Jugendförderung tätig ist. Dabei hat sie viel mit russlanddeutschen und geflüchteten jungen Menschen zu tun. Die Jugendlichen liegen ihr am Herzen, ganz gleich, woher sie kommen. Sie alle hätten gemeinsam, dass sie in einem neuen Land ankommen und ein neues Leben anfangen müssten. Da sie selbst diese Erfahrung gemacht hat, kann sie sich auch gut in die Geflüchteten einfühlen, die aktuell nach Deutschland kommen. Abschied, Ankunft, Neubeginn – dieser Dreiklang, der sich wie ein roter Faden durch die Ausstellung im Museum Friedland zieht, hat auch Katharina Martin-Virolainens Leben geprägt.

Eva Völker